Seit Jahrhunderten hat sich der Beruf des Schäfers kaum verändert. Für den Bleckeder Schäfermeister Stefan Erb steht heute neben der Zucht vor allem die Landschaftspflege im Fokus.
"Meine Energie", Magazin der Energieversorgung Dahlenburg-Bleckede, Ausgabe 24/2017.
Der große Holzstall bei Bleckede ist zur Kinderstube geworden. Hunderte weiße und karamellfarbene Rücken schmiegen sich aneinander, hier und da hebt sich ein schwarzer Kopf aus der Menge und taxiert den Besucher aus wachen Augen. Muttertiere und Neugeborene verbringen in Einzelbuchten ihre ersten gemeinsamen Tage, während der Nachwuchs auf unsicheren Beinen sein Umfeld erkundet. Seit Stunden sind Schäfer Stefan Erb und sein Team auf den Beinen. Von Januar bis April ist Lammzeit. Bei 1.200 Mutterschafen eine der arbeitsintensivsten Phasen des Jahres. Was die „Manpower“ betrifft, so stößt man jetzt an seine Grenzen, und Erb ist dankbar für jede helfende Hand. Wer bis dato eine romantische Vorstellung von diesem Berufsbild hegte, wird spätestens jetzt realisieren: Begreift man die Schäferei nicht als Aussteigermodell, sondern als wirtschaftlich agierendes Unternehmen, ist Empathie, Kraft und Verzicht auf Freizeit und Privatleben gefordert. Dass ambitionierter Nachwuchs rar ist, lässt sich leicht erraten. Auf die Frage, wie viel an dem Bild des einsamen Sonderlings dran sei, lacht der 51-Jährige: „Wer bei -15°C mit der Herde über die Weiden läuft, muss schon jede Menge Leidenschaft mitbringen. Doch die Schäfergeneration, die kaum soziale Kontakte pflegte und mit ihren Tieren unter freiem Himmel lebte, gehört längst der Vergangenheit an.“
„Die Schäfergeneration, die kaum soziale Kontakte pflegte und mit ihren Tieren unter freiem Himmel lebte, gehört der Vergangenheit an.”
Sobald Anfang April das erste Grün auf den Deichen sprießt, beginnt die Deichpflege. Erbs Herden beweiden die Flächen von Walmsburg bis zur Kreisgrenze Harburg. Ende Oktober wird er zum Wanderschäfer und zieht mit seinen rund 2.000 Leineschafen, Coburger Fuchs- und Schwarzköpfige Fleischschafen dorthin, wo seine Tiere noch nahrhaftes Futter finden. Dankbar sei er den Landwirten, die ihn Jahr für Jahr gewähren ließen. j die Außenwirtschaft, kümmert sich um die Maschinen. Seit 31 Jahren existiert nun die Stefan Erb & Klaus Hentschel GbR, ein gesundes Unternehmen, das nicht nur auf erfreuliche Zeiten zurückblickt: Die unmittelbare Nähe zur Elbe birgt für den Hof immer auch Gefahren. „2002 hatten wir das Wasser im Haus“, so Erb. „Daraufhin nahm der Deichverband mit einem Kraftakt die Eindeichung vor. Doch schon in 2006 drohte der Deich wieder überspült zu werden. Zahlreiche Schafe mussten per Fähre evakuiert werden. 2013 war die Situation erneut grenzwertig. „Ein Zustand, der für mich und meine Familie eine große Belastung ist“, räumt Erb ein. Sollte es die Elbe erneut über die Deiche schaffen, weiß der Schäfermeister nicht, ob er und seine Familie noch einmal den Willen für den Wiederaufbau aufbringen.
Magische Momente
„Es sind diese besonderen Momente, die man gemeinsam mit der Herde und den Hunden in der Natur erlebt - dieses nonverbale Zusammenspiel, das etwas Magisches hat.”
Druck übt mittlerweile auch die Rückkehr des Wolfes auf die Schäfer aus. Inzwischen habe sich die Lage merklich zugespitzt, es gäbe viele Kollegen, die durch die wiederkehrenden Übergriffe in Not geraten; auch er verlor bereits Tiere. „Die Wolfspopulation nimmt zu. Das stellt uns vor eine große Aufgabe, denn weder eine dichtere Umzäunung noch zusätzliche ausgebildete Hütehunde garantieren, dass Isegrim am Eindringen gehindert wird.
Doch trotz allem gibt es sie auch nach 26 Jahren noch: Diese Augenblicke, die Erb in seiner Berufswahl bestätigen. „Es sind diese besonderen Momente, die man gemeinsam mit der Herde und den Hunden in der Natur erlebt, das nonverbale Zusammenspiel, das etwas Magisches hat“, weiß Erb. Und er weiß auch, dass es gut ist, irgendwo hinzugehören, Wurzeln zu haben, wo doch in heutiger Zeit sonst so wenig Bestand hat.
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